Kurzgeschichten

Schwarmintelligenz

von Frank Phil Martin

Der geläufige Begriff der Schwarmintelligenz beschreibt zunächst bestimmte Überlebensstrategien in verschiedenen Tierpopulationen. Durch der Art innewohnenden Verhaltensmuster werden dezentrale Entscheidungen ohne Absprache getroffen, die auf lokalen Interaktionen basieren. Diese dienen dazu den Fortbestand und den Erhalt der Gruppe zu sichern.

So können beispielsweise Ameisen durch das Aufspüren von Pheromonspuren den kürzesten Weg zur Nahrung finden. Bienen wiederum entscheiden über die besten Nistplätze durch Tanzkommunikation, und bei Fischen dient die Fähigkeit als Frühwarnsystem und Verwirrungstaktik um Fressfeinde abzuhalten. Ein schönes Beispiel ist der Sardinenlauf vor der südafrikanischen Küste: Millionen Sardinen ziehen in riesigen Schwärmen entlang der Küste – ein Spektakel, das nicht nur Fressfeinde wie Haie, Delfine und Vögel anzieht, sondern auch zeigt, wie effektiv Schwarmverhalten als Überlebensstrategie funktioniert.

Aber verlassen wir die Tierwelt und wenden uns dem Menschen zu, denn es sollte unstrittig sein, dass eine ähnliche Fähigkeit auch bei uns vorhanden ist. Allerdings scheint die Begrifflichkeit in diesem Kontext etwas unglücklich gewählt. Manche könnten unwillkürlich an einen charismatischen Zeitgenossen denken, dem alle anderen hinterherrennen. Zudem ist es umgangssprachlich nicht geläufig den Begriff Schwarm in Bezug auf Gruppen oder Ansammlungen von Personen zu verwenden. Daher haben sich wohlmöglich andere Bezeichnung durchgesetzt. Alternative Begriffe in diesem Zusammenhang sind u.a.: Koorperationsintelligenz oder neu-Deutsch Crowdsourcing. Hierbei ist schon das bekannte Brainstorming eine solche Strategie, bei der jeder Teilnehmer seine Gedanken zu einer bestimmten Problematik in den Raum stellt. Da alle Personen in der Regel unterschiedliche Aspekte einbringen, gelingt es am Ende eine adäquate Lösung herauszuarbeiten. Dieses Vorgehen der Vielfalt von Ideen, wird auch in Unternehmen wie zum Beispiel bei Produktentwicklungen genutzt. Oder auch Börsenpreise spiegeln oft die kollektive Einschätzung vieler Akteure wider.  

Dieses Vorgehen ist auch dem Nachhall-Redaktionsteam besonders gut gelungen, dem dieser Artikel gewidmet ist, und das sich zur Aufgabe gemacht hat, lesenswerte Schriften zu sichten und vor dem Verschwinden (aus den Tiefen des Internets) zu retten, indem diese in einem Printmedium veröffentlicht werden. Immer wieder gelang es durch die Gruppendynamik neue Aspekte herauszuarbeiten, sich gegenseitig zu motivieren oder auch neue Konzepte auf den Weg zu bringen.

Aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille , die Schwarmdummheit – gemeint sind kollektiv schlechte oder gefährliche Entscheidungen.

In der Tierwelt sind diese Vorgänge ebenfalls dokumentiert. Zwei Arten von Fehlverhalten sind besonders gut erforscht. Zum einen die sogenannten Fluchtreflexe. Bei dem die Herde durch laute Geräusche oder andere Bedrohungen erschreckt wird. In Panik versetzt folgen die Tiere blind der Bewegung der Masse – ohne individuelle Einschätzung der Umgebung. Auch durch topografische Fallen in bergigen Regionen oder bei Klippen kann es vorkommen, dass Tiere in der Panik auf einen Abhang zulaufen und abstürzen. Solche Fälle wurden etwa bei Schafherden dokumentiert.

Menschen hingegen verfügen, anders als Tiere, über eine besondere Form der emotionalen Intelligenz. Ein kurzer Ausflug in die Emotionspsychologie von Lazarus kann dies verdeutlichen, da es eine Weiterentwicklung in der Evolution darstellt - die Entwicklung von Emotionen zur weiteren Bewältigung von Anpassungsproblemen. Im Vordergrund steht hierbei immer die Bewertung einer Situation in Bezug auf eine mögliche Bedrohung der eigenen Unversehrtheit. Hierbei sind keine konkreten Vorgänge, sondern eher abstrakte Ereignisse von Bedeutung. So werden beispielsweise das laute Bellen eines Hundes, unbekannte plötzliche Geräusche oder beängstigende Gerüche auf ihre Bedrohlichkeit hin überprüft. Das Individuum hat durch diese erheblich höhere Flexibilität die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen Verhaltensweisen durchzuführen, welche dem ursprünglich induzierten Handlungsimpuls zuwiderlaufen. Am Beispiel eines aufsteigenden Rauches, der zunächst lebensbedrohlich erscheint und Fluchtimpulse auslöst, kann die emotionale Einschätzung dazu beitragen, dass das Feuer alternativ gelöscht und die Situation unter Kontrolle gebracht werden kann. Demnach sind die Handlungsverläufe, Reflexe, physiologische Triebe sowie Emotionen hierarchisch aufgebaut und erste Handlungsimpulse können durch emotional gesteuerte Einflüsse widerrufen werden. Dies bedeutet jedoch auch, dass wir nicht nur den Vorteil einer gestaffelten Handlungsoption haben, sondern auch den Nachteil einer möglichen Fehlentscheidung.  

Auch Menschen können eine Art Schwarmdummheit zeigen – etwa bei Massenpaniken, Börsencrashs oder Gruppendenken. Die Mechanismen ähneln sich: emotionale Ansteckung, Konformitätsdruck und fehlende kritische Distanz. Ein sehr gutes Beispiel für Schwarmdummheit ist die in der Vergangenheit abgelaufene Coronazeit. Hier erfolgte eine emotionale Mobilisierung der Bevölkerung durch Angstkommunikation, etwa durch Bilder von überfüllten Intensivstationen oder dramatischen Modellrechnungen und PCR-Testzahlen. In Wahrheit jedoch gab es in der Summe zu keiner Zeit überfüllte Intensivstationen oder eine Übersterblichkeit, wie sich anhand von offiziellen Zahlen Belegen lässt. Auch laut der Berliner Zeitung gab es früh Kritik an den Daten der Impfstoffhersteller. RKI-Protokolle dokumentieren Unsicherheiten, etwa zur Wirksamkeit gegen Infektion. Dennoch wurden die Menschen von den Leitmedien zur der angeblich unschädlichen Impfung gedrängt. Medienforscher kritisieren, dass viele Leitmedien kaum Raum für abweichende Meinungen ließen und stattdessen zur Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen beitrugen. So wurden viele Leute hinter das Licht geführt und rannten, wie die oben beschriebene Schafherde in der Masse mit, in dem Glauben das richtige zu tun.  Insofern folgten viele Menschen den Maßnahmen aus sozialem Druck oder Angst – nicht unbedingt aus rationaler Überzeugung

Der Psychologe Matthias Desmet beschreibt dieses Verhalten mit dem Begriff der Massenbildung, eine Art Gruppenhypnose, bei der Menschen ihre ethische Selbstverantwortung verlieren und sich blind einem kollektiven Ziel unterordnen, wo wir wieder im Kontext der Schwarmdummheit wären. Er sieht in der Massenbildung einen psychologischen Zustand, in dem Menschen unter sozialer Besorgnis, Angst und Sinnverlust in kollektive Denk- und Verhaltensmuster verfallen. Dabei geben Individuen ihre kritische Distanz auf und folgen einem gemeinsamen Narrativ, oft mit hoher Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen. Dieser Zustand kann laut Desmet den Boden für totalitäre Systeme bereiten, wenn er nicht durch offene Kommunikation und Sinnstiftung unterbrochen wird. Hierzu mag sich jeder seine eigene Meinung bilden. Es zeigt aber, wie mächtig kollektive Narrative sein können – und wie wichtig kritisches Denken, Transparenz und Pluralität in Krisenzeiten sind.

Weilheim den 29.10.25

 

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